May 11, 2024

Der nuancierte Blick: So prägt KI unsere Berufswelt und den Wettbewerb

Der nuancierte Blick: So prägt KI unsere Berufswelt und den Wettbewerb

Publiziert: 10. Mai 2024 von Fabian Mösli

Wird die Künstliche Intelligenz (KI) uns alle arbeitslos machen? Diese Befürchtung geht derzeit um wie ein Gespenst, weil sich reisserische Schlagzeilen halt gut verkaufen. Da ist es schon fast kontrovers, wenn ich sage: alles halb so wild. Für Unternehmen und Arbeitnehmer ergeben sich zahlreiche Chancen, die aber auch proaktiv ergriffen werden müssen.

Basierend auf meiner kritischen Auseinandersetzung mit den Folgen der KI für Arbeitnehmer und Unternehmen möchte ich Ihnen eine ausgewogene Perspektive liefern.

Eines schon mal vorweg:

“Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.” - Friedrich Schiller

Die Gefahr einseitiger Prognosen und isolierter Betrachtungen

Eine der häufigsten Befürchtungen in Bezug auf KI ist das Risiko, dass sie einen bedeutenden Teil der Jobs überflüssig machen könnte und zu grossen wirtschaftlichen Verwerfungen führt. Entsprechende Schlagzeilen stammen oft aus Wirtschaftsstudien, in denen die Auswirkungen der KI auf verschiedene Funktionen untersucht und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Beschäftigung dann einfach hochgerechnet werden. In der Regel werden in diesen Berichten die Entscheidungen, die Unternehmen angesichts der Produktivitätsgewinne durch eine neue Technologie treffen, nicht berücksichtigt. Dies wäre aber vor allem in wettbewerbsintensiven Branchen von Bedeutung.

Verbreitet ist die Annahme, dass ein Unternehmen, das seine Produktivität in einem bestimmten Bereich um 50 % steigern kann, immer entsprechend viele Arbeitsplätze in diesem Bereich abbauen wird. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Funktion bisher 20 Arbeitskräfte benötigte, würde diese Funktion bei einer Produktivitätssteigerung von 50 % in Zukunft nur noch ~14 Arbeitskräfte benötigen.

Ein realistischeres Szenario

Um die mittelfristigen Auswirkungen besser einschätzen zu können, ist es wichtig, ein paar Schritte über die initialen Effekte der KI-getriebenen Produktivitätssteigerung hinauszudenken.

Nehmen wir als Beispiel eine Funktion, in der KI bereits relativ verbreitet ist und viele offensichtliche Vorteile bringt: Software-Entwicklung. KI kann technische Entscheidungen unterstützen, Code generieren, Bugs finden, automatisch testen und dokumentieren und vieles mehr.

Das Software-Unternehmen Certifaction beispielsweise, das ich mit aufgebaut habe, hat, sagen wir mal, 10 Software-Ingenieure. Dass es nicht 20 sind, liegt nicht daran, dass es nur Arbeit für 10 Ingenieure gibt. Sondern es liegt daran, dass das Personalbudget wie in jedem Unternehmen beschränkt ist und eben auch Kapazität für Produktmanagement, Marketing und Sales benötigt wird.

Die geplanten Entwicklungsprojekte im Produkt-Backlog waren zu jedem beliebigen Zeitpunkt mehr als das, was das Team gleichzeitig in Angriff nehmen konnte. Und selbst wenn sich die Kunden nicht ständig neue Features wünschen würden, gäbe es keinen Mangel an Ideen, zusätzliche Produkte zu entwickeln.

Der Punkt ist: Wenn eine Firma wie Certifaction auf einen Schlag 50% an Produktivität in der Entwicklung dazugewinnen würde, dann wäre die Wahrscheinlichkeit eines Stellenabbaus sehr gering. Viel eher würde man versuchen, mit der zusätzlichen Kapazität mehr Wachstum zu generieren. Es geht schneller vorwärts mit der Produkt-Roadmap, die bestehenden Kunden sind (noch) zufriedener und neue Kundensegmente können erschlossen werden.

Früher oder später sollte das zu einem Umsatzplus führen. Und was dann? Es können neue Stellen geschaffen werden! Im Engineering, aber auch in anderen Abteilungen. Somit ist es durchaus vorstellbar, dass die erfolgreiche Einführung von KI dazu führt, dass es am Ende mehr Softwareentwickler-Stellen bei Certifaction gibt als vor der KI-Ära. Und so auch bei anderen Unternehmen.

Viele Vorbehalte und Herausforderungen

Nach diesem optimistischen Szenario möchte ich einräumen, dass die Situation wesentlich komplizierter und komplexer ist.

  • Das oben beschriebene Szenario bezieht sich auf eine sich im Wachstum befindliche Firma in einem noch nicht vollständig gesättigten Markt. Es gibt jedoch zugegebenermassen auch Szenarien, wo es für Unternehmen durchaus Sinn macht, die erreichbaren Kosteneinsparungen zu realisieren.
  • Durch die zunehmende Bedeutung von KI entstehen unzählige neue Unternehmen, die Jobs schaffen. Allerdings sind viele dieser Jobs Spezialistenrollen, die nicht von jedem beliebigen Ingenieur besetzt werden können. Jedenfalls nicht ohne eine signifikante Lernkurve.
  • Bestehende Unternehmen schaffen neue Stellen, um die Transformation zu bewältigen und die eingesetzten Lösungen zu betreiben. Vor dem Durchbruch von Computern hatte keine Firma eine IT-Abteilung und es gab weder Systemadministratoren noch IT-Supporter.
  • Da sich erhöhte Produktivität in der Realität nur verzögert auf den Umsatz auswirkt, werden sich einige Unternehmen leider entscheiden, die Personalausgaben bis dahin zu reduzieren und später wieder zu erhöhen. Ich würde zwar argumentieren, dass das keine gute Idee ist, da man dann quasi fast sofort wieder mit dem Recruiting anfangen muss, um bis dahin wieder gut eingearbeitete Fachkräfte zu haben - aber nicht alle Unternehmen entscheiden weitsichtig.
  • Mitarbeitende, die sich nicht auf die neue KI-Unterstützung einlassen wollen oder damit Mühe haben, könnten ihren Platz im Team verlieren. Unternehmen werden auf die Fähigkeit, effektiv mit KI zu arbeiten, relativ hoch bewerten.

Das sollten wir jetzt beachten

Betrachtet man die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, so lässt sich feststellen, dass die Produktivitätssteigerung durch KI nicht zwangsläufig zu einem Netto-Rückgang an Stellen führen muss. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es von manchen Profilen mehr Bedarf geben wird und von anderen weniger als bisher. Es werden auch diverse komplett neue Rollen geschaffen, die neue Fähigkeiten erfordern. Zudem wird es eine Umverteilung von trägen Unternehmen hin zu den innovativeren, anpassungsfähigeren Unternehmen geben.

Wissensarbeiter sollten sich deshalb rechtzeitig mit der Technologie befassen und lernen, ihre eigene Leistungsfähigkeit mit entsprechenden Werkzeugen zu steigern.

Unternehmen sollten durch einen systematischen, ganzheitlichen Ansatz ihre Strategie anpassen, die notwendige Innovationskultur fördern und rechtzeitig den Wissensaufbau in Gang setzen.

Dann können wir optimistisch in eine Zukunft blicken, in der Menschen langweilige, repetitive Aufgaben delegieren und ihre Stärken wie Kreativität, emotionale Intelligenz, Urteilsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, kulturelles Verständnis und Selbstreflexion ausspielen können.

Check out other articles

see all

It’s not too late to improve

Fusce neque. Fusce risus nisl, viverra et, tempor et, pretium in, sapien. Pellentesque posuere.